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Didaktik in der Digitalität

6 Minuten Lesezeit

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Von der "digitalen" Didaktik zur Didaktik in der Kultur der Digitalität: 5 Thesen

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Ausgangspunkt:

Die Wissenschaft vom Lehren und Lernen muss das Lernen und Lehren (bewusst gewählte neue Reihenfolge) immer in Bezug zur Realität sehen, um mit den gegenwärtig möglichen Potenzialen unterrichtliche Situationen einerseits zeitgemäß gestalten zu können, aber auch andererseits mit Blick auf zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen, Bildung als Vorbereitung für ein erfülltes, aktives Leben der Lernenden zu begreifen.

Digitalisierung und digitale Transformation haben zu umfassenden Veränderungen in allen Lebensbereichen geführt. Dabei kommt der Veränderung der Kommunikationspraktiken als Basis der gesellschaftlichen und ökonomischen Interaktion eine besondere Rolle zu.
Eine Kultur der Digitalität basiert eben auf diesen veränderten kulturellen Praktiken, die sich in den vergangenen Jahren als Selbstverständlichkeit in vielen Bereichen der Gesellschaft etabliert haben (vgl. Stalder 2016).
Diesen Veränderungen muss Didaktik Rechnung tragen und Lehrende befähigen, dies auch in den eigenen Lehr-Lernszenarien einzuplanen und einzubinden.

Die Betonung des Adjektivs "digital" offenbart unser Denken in Strukturen und Vorstellungen, die von einer prä-digitalisierten Welt bestimmt sind. Digital und anlog werden als Gegensätze wahrgenommen. Meist wird das Analogen positiv besetzt, digitale Werkzeuge und Konzepte werden eher skeptisch betrachtet, bestenfalls als Ergänzung zum traditionellen analogen Vorgehen angesehen.

Diese konstruierte Dichotoymie entspricht nicht der Realität im 21. Jahrhundert. Anlog und Digital sind verschmolzen und haben Workflows etabliert, die selbstverständlich digitale Kommunikation und Austausch in Präsenz kombinieren, indem Vor- und Nachteile abgewogen werden und das für Situation, Gegenstand und Personenkreis Passende ausgewählt wird.

Digitalisierung und digitale Transformation haben im wahrsten Sinn des Wortes neue Räume - nämlich digitale - erschlossen und damit auch neue Möglichkeitsräume zu kommunizieren und kollaborieren. Menschen erschließen für Abläufe, Zusammenhänge, Darstellungen, Verständnis und Handlungen gerade diese Räume.
Ohne Anweisungen, wissenschaftliche Anleitung - sie lernen. Sie lernen durch ihr Handeln und gestalten dabei diese Räume.
In diesen sehr spannenden Zeiten des Umbruchs wird auch Lernen und Bildung neu definiert und muss sich diese Räume nicht nur erobern und sie in bestehende einbeziehen, sondern die Aufgabe der Bildung muss sein, die Lernenden (im Sinne des lebenslangen Lernens) zur Ausgestaltung und Erweiterung dieser Räume zu befähigen.

Bisherige Veränderungen sind für alle erlebbar: asynchrone Kommunikation, nonverbal, synchrone Kollaboration auf globaler Ebene, ...
Die von Stalder beschriebenen Formen der Kultur der Digitalität

Das bedeutet, dass wir auch im Hinblick auf didaktische Überlegungen zwar zwischen analog und digital unterscheiden sollten, aber nicht den Gegensatz, sondern die Einheit von Analog und Digital betonen müssen. Ähnlich dem Vergleich zwischen "mündlich" und "schriftlich" unterscheiden wir hier, aber sehen beide Ebenen als gegenseitige Ergänzung, die eine Einheit bilden.

Wie muss man dann Didaktik in der Digitalität verstehen? Wie sollte Unterricht - Schule - Lehrer:innebildung in einer Kultur der Digitalität konzipiert, gestaltet und weiterentwickelt werden?
Schwierig zu beantworten, da selbst der Begriff der Didaktik sehr vielschichtig ist:
Didaktik meint das Lehren und Lernen allgemein

Ich würde mich gern vom Ausdruck des "Unterricht planen" lösen und verstehe didaktische Überlegungen zur Entwicklung von unterrichtlichen Szenarien als "Lernen gestalten". Lehrende bleiben selbst Lernende und sollten in der Lage sein, für ihre Lernenden eine Lernarchitektur zu konzipieren, die Möglichkeiten zur schöpferischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Problemen bietet und zur Kreativität und zur Zusammenarbeit einlädt. Dies bedeutet, dass ich den Blick also zwar auf den Lehrenden richte, diesen aber als didaktischen Enabler für die Lernenden verstehe.

Hier meine 5 Thesen.

1. Didaktik muss realitätsbezogen und zukunftsorientiert sein.

In der Lehrer:innenbildung müssen aktuelle Entwicklungen stärker einbezogen werden, um
a) zukünftige Lehrer:innen auf den Beruf vorzubereiten
b) aktuell tätigen Lehrer:innen die neuesten Entwicklungen als Fortbildung zur Verfügung zu stellen.
Daraus ergibt sich für mich eine notwendige engere Verzahnung der Phasen der Lehrer:innenbildung. (siehe 2.)

2. Didaktik muss stärker an Praxis gekoppelt werden.

Die vorherrschende Trennung von Theorie und Praxis in der Lehrer*innenbildung muss überdacht werden. Modelle, Prinzipien und auch Rezepte müssen an erlebbaren Handlungssituationen reflektiert und entwickelt werden.
Hier gilt es Schulen an lehramtsausbildende Hochschulen zu koppeln oder noch besser, das Lehramtsstudium als duales Studium zu konzipieren.

3. Medienkonzepte sind die neuen Schulprofile.

Im Zuge des Digitalpakts und befeuert durch die COVID-19-Pandemie entwickelten Schulen Medienentwicklungspläne oder Medienkonzepte. Man schrieb parallel zum Schulprofil und zur Schulentwicklung - Medien als additiver Bestandteil von Bildung. Hier muss man nach dem Sinn dieser Trennung fragen. Medien, die heute mehr denn je unsere kulturellen Handlungspraktiken und damit auch das Was und Wie des Lernens verändern, können nicht losgelöst von der Schulentwicklung betrachtet werden. Medien verändern durch ihren Einsatz unsere Kommunikation, unser Miteinander, die Art des Lernens und damit der Bildung. Sie sind wesentlicher Faktor der Schulentwicklung.

4. Schule wird zum Netzwerkknoten der regionalen Bildungslandschaft.

Gerade erleben wir wieder das Verständnis von Schule als Aufbewahrungsanstalt für Schüler:innen. Wir müssen Schule als Lernort neu definieren und ihn in die neu zu konzipierende Architektur der Bildung - des lebenslangen Lernens - einbinden.
Schule bedarf mehr denn je einer Vernetzung mit allen Akteuren und außerschulische Partnern. Nicht nur Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern sind gefragt, auch außenunterrichtliche Partner wie Bibliotheken, Hochschulen, Firmen, Vereine, ... sind in Bildungsprozesse einzubinden und ihre Potenziale im Sinn einer regionalen Bildungslandschaft zu nutzen.

5. Schule und Unterricht sind ein Baustein im lebenslangen Lernprozess

... und nicht der erste und nicht der letzte. Bisher wird Schule meist als abgeschlossenes System verstanden, das Personen durchlaufen und sich allein durch ihre Anwesenheit in einer Schule Lernprozesse vollziehen würden. Am Ende bescheinigt eine Prüfung ihren Wissens- und Kompetenzsstand. Haken dran - Ausbildung fertig. Bildung beginnt lange vor Schulbeginn - Stichwort frühkindliche Bildung. Und Bildung endet nicht mit der Schulkarriere.
Meiner Meinung nach fängt da die eigentliche Bildung erst an. Schulische Bildung hat für mich eher Grundlagencharakter und persönlichkeitsbildenden Fokus.

Literatur:

Siemens, G. (2006). Knowing Knowledge Zugriff am 14.06.2020 unter https://archive.org/details/KnowingKnowledge

Stalder, F. (2016). Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp.