Tutor vs. Klassenlehrer
18.05.2020 4 Minuten LesezeitVeränderungen des Lernens und Lehrens in Zeiten von #distanzlearning
Nichts ist im Moment mehr so, wie es mal war. Sars-Cov-2 hat eine Zäsur verursacht, eine Einteilung geschaffen, ein Vorher und ein Nachher.
Und wir sind jetzt genau dazwischen - im Transformationsprozess.
Die Umstellung der Bildung ist kein einfacher Prozess und wird noch dadurch erschwert, dass Uneinigkeit über die Entwicklungsrichtung herrscht.
Ausgangslage oder Bildung, wie wir sie kannten:
Schule als gesellschaftliche Institution organisiert das Lernen. - So zumindest die Vorstellung. Wie erfolgreich oder auch nicht dies im 21. Jahrhundert war, kann man in vielen Studien nachlesen - zum Beispiel bei PISA oder TIMSS oder IGLU.
Schule war (ist?) eine straff organisierte, gut durch getaktete und engmaschig kontrollierende Institution.
Schüler:innen werden nach Alter in Klassen beschult (ein furchtbares Wort),
Noten werden vergeben (nicht so objektiv wie gewünscht),
Durchschnitte entscheiden über Versetzungen und Bewerbungsmöglichkeiten (Duchschnitt = Können/Kompetenz??? - sehr fraglich).
Dann kam Corona. Und nichts lief mehr gut organisiert.
Viele Schulen und Lehrer:innen waren in der ersten Zeit auf sich gestellt. Lösungen mussten gefunden werden und es wurde deutlich, dass digitaler Workflow in Bildung ein Prozess ist, der Einarbeitung benötigt und der so gar nicht mit der ananlogen Face-to-Face-Kommunikation zu vergleichen war.
erste Einsichten:
- einfach nur für Lerninhalte sorgen reicht nicht
- Motivation ist schwierig zu erzeugen
- asynchrone und synchrone Kommunikation über digitale Kanäle will gelernt sein
- Arbeitsbelastungen für Schüler:innen einschätzen ist schwierig, da individuell
- Feedback ist nicht gleich Kontrolle
- Noten sind kein Motivationswerkzeug für Lernprozesse
Problem:
Besonders von Eltern wurde mir immer wieder rückgemeldet, dass alle Beteiligten (Eltern, Schüler:innen, Lehrer:innen) ein Kommunikationsproblem haben. Feedback konnte in den seltensten Fällen gegeben werden. Und so kam auch selten bei den Lehrenden an, dass
die Arbeitspensen für die Schüler:innen zu viel/zu wenig/zu unterschiedlich sind,
die Kommunikation mit den Lehrer:innen auf Grund unterschiedlicher/fehlender Kontakte schwierig bis unmöglich ist,
es eventuell persönliche Probleme bei der Bewältigung der Aufgaben gab
Vorschlag1 - Tutor vs. Klassenlehrer
Klassenstrukturen auflösen.
Schüler:innen sind den Jahrgangsstufen zugeordnet. Hier haben sie zur Zeit noch Unterrichtsfächer mit bestimmten Fachlehrer:innen.
Was die Schüler:innen dringend benötigen, ist ein Ansprechpartner, der sie nicht mit Arbeitsaufträgen versorgt, sondern der zuhört und ihren Workflow überwacht, unterstützt und gegebenenfalls erleichtert - ein TUTOR.
Beim Distanzlernen:
Tutor:innen (am besten ein 2er Team) haben eine bestimmte Anzahl Schüler zu betreuen. Sie nehmen von den Fachlehrer:innen die Arbeitsaufträge entgegen, “schnüren” und versenden die Pakete für ihre Schüler:innen.
So haben die Tutor:innen immer den Überblick über den gesamten Workload der Schüler:innen und können rechtzeitig Über- oder Unterforderung erkennen oder auch an bestimmte Termine erinnern.
Für Schüler:innen und Eltern sind die Tutor:innen zentraler Anlaufpunkt für alle Fragen im Zusammenhang mit Schule.
In der blended-learning-Übergangsphase (Distanzlernen und Präsenzzeiten)
Hier kommt den Tutor:innen eine große Bedeutung zu, denn sie sind Koordinatoren, um einen reibungslosen Übergang zwischen den Phasen zu gewährleisten. Sie können im Vorfeld der Präsenzzeiten ihre Kolleg:innen über Besonderheiten informieren und so deren Vorbereitung unterstützen.
Wichtig ist, dass gerade auch an den Präsenztagen Zeit für die Begegnung und den Austausch zwischen Schüler:innen und Tutor:innen eingeplant wird.
Die würde sich auch in einer reinen Präsenzschule so gestalten.
Tutor:innen treffen sich wöchentlich für 1-2 Stunden mit ihrer Tutandengruppe.
Der Vorteil dieses vom eigentlichen Unterrichtsprozess losgelösten Verhältnisses ist, dass Tutor:innen als Außenstehende und nicht als Involvierte/Beteiligte auftreten und in alle Richtungen anders kommunizieren können, als wenn sie selbst Lehrender der Schüler:innen wären.
Gleichzeitig wird dadurch die Beziehungsebene gestärkt, denn es liegt kein Abhängigkeitsverhältnis vor. Schüler:innen müssen keine schlechten Bewertungen befürchten.
Weitere Möglichkeit:
Ich habe diese Organisationsform der Betreuung durch Tutor:innen bei einer Autauschreise in Delaware (USA) kennengelernt.
Dort hatte man die Tutandengruppe aus verschiedenen Jahrgängen gebildet. Dies war gerade für das Peer-Feedback eine große Ressource und wurde von allen Beteiligten als positiv empfunden.
Hier liegt also noch Potential für weitere Anpassungen. Es muss jeweils für die Schulsituation geprüft, entwickelt und evaluiert werden, was für die konkreten Bedarfe der Lehrenden und Lernenden am besten zugeschnitten ist.
Jahrgangsübergreifende Tutandengruppen unterstützen den Lernprozess durch ein Peer-to-Peer-Feedback auf Augenhöhe, ohne Bewertungsdruck. Dies ist ein großer Vorteil, den man - zumindest nach meinen Beobachtungen und Gesprächen in Delaware - nutzen sollte.
Ich sehe in einem Tutor:innensystem, wie ich es beschrieben habe, eine Lösungsmöglichkeit für eine Vielzahl von Organisations- und Kommunikationsproblemen.
Falls sich eine Schule dazu entschließen sollte, dieses System zu erproben, würde ich mich über eine kurze Rückmeldung freuen.